Mittwoch, 23. Januar 2013

Kurt Tucholsky und die Zwiebelgedichte


Theobald Tiger - Was ist im Innern einer Zwiebel –?
(Erschienen in der Weltbühne am 21.01.1929 )



Nun nimmt wohl bald der Bauer Geld aus der Schatullen
und macht sich auf mit seiner Kuh zum Bullen –
mit seiner Kuh.

Nun wirft wohl diese Kuh ein Kälbchen sonder Schaden,
und dieses Kälbchen legt dort einen runden Fladen –
das Kälbchen
von der Kuh.

Nun wächst aus diesem Fladen auf der Ackerkrume
wohl bald die schönste rote Bauernblume –
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.

Nun hüpft wohl bald ein Stubenmädchen in dem Grase,
pflückt einen Strauß für ihr Hotel und stellt in eine Vase
die Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.

In diesem so geschmückten Raum – denn sieh, er hat ihn
ja vorbestellt – liegt froh der heitere Hochzeitsreisende bei seiner Gattin –
in Zimmer 28
mit den Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.

Und hier empfängt sie einen anfangs anonymen Knaben,
sie trägt ihn aus, gebärt – er ist von großen Gaben –
von den Hochzeitsreisenden
aus Zimmer 28
mit den Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.

Der Knabe reift heran, erbt einen ganzen Batzen
und gründet sich ein Etablissement für Bett-Matratzen –
der Sohn
der Hochzeitsreisenden
aus Zimmer 28
mit den Blumen
aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.

Nun schneuzt sich breit sein erster Vorarbeiter,
wischt sich den Bart und pinselt flötend weiter –
in der Fabrik
des Sohnes
der Hochzeitsreisenden
aus Zimmer 28
mit den Blumen aus dem Fladen
von dem Kälbchen
von der Kuh.

Der Vorarbeiter hat das Bett lackiert. Nun nimmt er einen Schluck.
In diesem Bett tu ich den letzten Atemzug.

Ein ganzes Leben steckt also in der Zwiebel, wenn ich Kurt Tucholsky da richtig verstehe... neben Kuh, Kalb und dem Fladen natürlich. Das ergibt ein schönes Bild aber noch lange nicht unbedingt etwas für einen Beitrag hier auf meinem Blog. Wäre ich nicht ein paar Tage bevor ich über diesen Text stolperte auf ein anderes Zwiebelgedicht gestoßen, vom anderen Ende der Welt sozusagen

Pablo Neruda:

Ode an die Zwiebel

Zwiebel,
leuchtende Phiole,
Blütenblatt um Blütenblatt
formte deine Schönheit sich,
kristallene Schuppen
ließen dich schwellen,
und im Verborgenen der dunklen Erde
füllte dein Leib sich an mit Tau.
Unter der Erde
ward dieses Wunderwerk,
und als dein unbeholfener
grüner Trieb erschien
und deine Blätter degengleich
im Garten sprossen,
drängte die Erde
ihren ganzen Reichtum zusammen
und wies deine nackte Transparenz,
wie in Aphrodite das ferne Meer
die Magnolie nachschuf,
da es ihre Brüste formte,
also bildete
dich die Erde,
Zwiebel, hell wie ein Planet
und zu leuchten
bestimmt,
unvergängliches Himmelszeichen,
rundliche Rose von Wasser
auf
dem Tisch
der armen Leute.
Verschwenderisch
lässt du
deinen Globus der Frische zergehn
im verzehrenden Sud
des Topfes
und der kristallene Saum
in des Öls Hitze
verwandelte sich in eine gekräuselte Feder von Gold.

Auch gedenke ich, wie dein Zutun
die Freundschaft des Salates fruchtbar macht,
und es will scheinen, der Himmel hilft mit,
da er dir des Hagelkorns zierliche Gestalt verlieh,
deine feingehackte Helle zu rühmen
auf den Hemisphären einer Tomate.
Aber erreichbar
den Händen des Volkes
und beträufelt mit Öl,
bestreut
mit ein wenig Salz,
tötest du den Hunger
des Tagelöhners auf mühsamem Wege.
Stern der Armen,
gütige Fee,
eingehüllt
in zartes
Papier, kommst du aus der Erde,
ewig, vollkommen, rein
wie der Gestirne Samenkorn,
und wenn in der Küche
das Messer dich zerschneidet,
quillt die einzige
leidlose Träne.
Du machst uns weinen, ohne uns zu betrüben.
Solange ich lebe,
lobsingen will ich,
Zwiebel,
für mich bist du schöner doch
als mit blendenden Schwingen
ein Vogel,
für meine Augen bist du
Himmelskugel, Platinkelch,
beschneiter Anemone
unbeweglicher Tanz,

und der Erde ganzer Duft,
er lebt in deiner kristallinischen Natur.

Zwei Zwiebelgedichte, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, im ersten kommt die Zwiebel nicht einmal wirklich vor. Aber ich habe nun Appetit, daher gehe ich jetzt in meine Küche und nebst je einer Neruda- und einer Tuchsolsky-Zwiebel und werde beide in einer Pfanne mit Pilzen und Hackfleisch ordentlich schmoren, sie mit Sahne und Gewürzen küren und mir dann mit etwas Reis munden lassen... ich hoffe nur mir kommen keine Fladen dazwischen. Also die von der Kuh oder dem Kälbchen... und ob die von Tucholsky bitter war, oder Nerudas so schmackhaft wie er meint, das werde ich dann wissen.

Eure Gecko   

PS:
Wer noch mehr Gedichte
über Zwiebeln kennt, kann sie hier gerne in den Kommentaren hinterlassen, solch seltsame Koinzidenz muss man doch ordentlich würdigen.


Das erste Gedicht findet sich auf den Seiten 35-36 des 7. Bandes, Kurt Tucholsky Gesammelte Werke, 1929, Rowohlt Taschenbuch-Verlag.
Das zweite stammt aus: In den deinen Träumen reist dein Herz, Einhundert Gedichte, S. 104ff, Luchterhand Verlag

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