Freitag, 3. Juni 2011

Kurt Tucholsky - Der Beichtzettel

Peter Panter – Der Beichtzettel
(aus das „Pyrenäenbuch“, erschienen 1927)

Wie schon erwähnt ist dies jetzt das Pyrenäenbuch und es ist eine Art Reisetagebuch, wie sie auch heute wieder in jeder Buchhandlung zu finden sind, spätestens seit Hape Kerkeling mit seinem „Ich bin dann mal weg“ für Furore suchte.
Erstaunlicherweise hat Tucholsky auch so etwas geschrieben, was ich ziemlich mutig finde, denn in den Bänden zuvor hat er sich ein übers andere Mal, schwer über die Reisereportagen von Schriftstellerkollegen ausgelassen. Ich erinnere mich nicht an eines, an dem er ein gutes Haar gelassen hat. Ob er mit dem Pyrenäenbuch beweisen wollte das er es besser kann? Das ist reine Spekulation meinerseits und ich bin mit dieser Art von Literatur auch nicht vertraut genug um es zu beurteilen. Das Buch von Hape liegt immer noch auf dem SuB und es liegt dort auch nur, weil es Mr. Gecko so gefallen hat, ob ich es je lesen werde weiß ich nicht.

Jetzt aber wieder zurück zu Tucholsky. „Der Beichtzettel“ ist die Einleitung zu seiner Reise und es geht, wie könnte es anders sein, um die Reisevorbereitungen. Aber Tucholsky wäre nicht er selbst, wenn er einfach nur beschriebe wie er seinen Koffer packt... Nein, er nimmt uns mit auf die schwierigen Stationen der Passbeschaffung, um die erst mal einzuholende Reiseerlaubnis und er tut dies sehr witzig.


Viele europäische Staaten fordern zur Zeit noch Eintrittsgeld, und das kann ihnen niemand verdenken. Autorität übt man am besten dem Schwachen gegenüber aus – dem, der keinen Fußtritt zurückgibt, wenn der armselige verschuldete Popanz mit dem Wappen fuchtelt. Bauern, die für ihren ganzen Besitz so viel Steuern bezahlen wie ein Schreibmaschinenfräulein, Aktiengesellschaften, die, wenn es ans Zahlen geht, nur mit ihrer französischen Bezeichnung »Sociétés Anonymes« auftreten ... bei denen gehts nicht. Das arme Luder von Staat muß sich doch ein Mal, ein einziges Mal fühlen! Der Ausländer ist eine schöne Gelegenheit.

Ich würde zu gern wissen, was Tucholsky zu den Grenzkontrollen gen Osten gesagt hätte, jenen, die mir, die ich sie als Kind und Jugendliche erlebt hatte, immer als wirklich unheimlich erschienen. Ein Hauch von „1984“ schwang darin mit auch als das Datum längst vorbei geschritten war.
Das Schengener Abkommen macht uns als EU-Mitglieder natürlich heute von solchen Dingen frei... wenn wir nicht das Pech haben einen Pass auf der Fremde zu besitzen... oder gar keinen.

Aber dazu hat Tucholsky auch etwas zu sagen, wenn er den Beichtzettel (den Pass) mit dem historischen Beichtzettel vergleicht...

So, genau so war einst die Herrschaft der Kirche.
Ein Mann ohne Beichtzettel war ein verlorner Mann, ein ausgestoßner Mann, eine unmögliche Erscheinung, ein Auswurf. Der Geist war von Jugend an in das Eisenkorsett des Glaubens eingezwängt, so dass er gar nicht anders denken konnte. »Hat er den richtigen Glauben?« Allenfalls verstand man noch, dass er den falschen hatte – aber gar keinen? Davor bekreuzigte der Gläubige erst sich und verbrannte dann den andern.
Und die Hexenrichter waren keine schwarzen schleichenden Schufte, wie der aufgeklärte Liberalismus sie so oft abgebildet hat – es waren anständige, reputierliche Leute, mit einem ordentlichen Studium hinter sich, einem festen Pflichtenkreis um sich, einer geachteten Laufbahn vor sich ... Trommelten die Trommeln, brodelte das Volk auf den großen Plätzen, surrten die Gebete der Mönche um die Verurteilten? Sie sahen das mit ruhigen Augen an. Die Feuer brannten, die Schreie stiegen zum Himmel auf, wie hätte das anders sein können? Das mußte so sein.
Es mußte so sein, weil das mittelalterliche Europa an einer Sache hing, die es von Natur aus nicht gab, sondern die sich der Mensch erst gemacht hatte: an der Kirche. Wer hing am Kreuz? Der Gläubige selbst: röchelnd, mit herausgequollnen Augen, in seiner Bewegung gehemmt, an die Hölzer gebunden, glücklich, gestützt und nicht allein – so hing er da.
Und steht heute auf, sieht das Kreuz mit langem Blick an, schüttelt sich und geht ... ?
Er ist von einem Kreuz zu einem andern gelaufen.
Er stiert auf die Fahnen wie ein Huhn, das man mit der Nase vor den Kreidestrich hält, unbeweglichen Auges, er sieht nur das. Hat er die richtige Staatsangehörigkeit? Allenfalls versteht man noch, dass er die falsche hat – aber gar keine? Davor schrickt der Polizeimann zurück und jagt den andern davon.
Und sie sind so stolz auf ihren Beichtzettel!

Diese „Einleitung“ kann man nicht einfach nur überfliegen. Ich habe sie mehrfach gelesen, hier nochmal und dort auch, und sie mir auf der Zunge zergehen lassen. Was ich gefunden habe, ist ein sehr weiser, leicht spöttischer, aber auf jeden Fall warnender Blick auf Kirche und Nationalstaat. Nicht freundlich, nein. Tucholsky wirft einen Blick zurück in die Geschichte und einen hinaus in die Zukunft, wo willkürlich Menschen zu Staatenlosen und somit Beichtzettellosen gemacht wurden... und werden, denn heute klappen wir die Grenzen zu, wenn der Fremde über das Mittelmeer zu uns herüber schwemmt...

Das macht nachdenklich,


Keine Kommentare: