Mittwoch, 18. Mai 2011

Kurt Tucholsky - Standesdünkel und Zeitung

Ignaz Wrobel - Standesdünkel und Zeitung
(erschienen am 16.03.1926,  In der Weltbühne Nr. 11, S. 417)

Schnee von Vorgestern und welcher von Gestern, möchte man vielleicht meinen, aber noch hat Herr Guttenberg leider nicht seinen guten Leumund verloren. Daran wurde ich beim Lesen des Textes von Tucholsky erinnert und möchte ihn hiermit auch noch mal in einem neueren Kontext zitieren, denn was mich an der ganzen Plagiatsaffäre am meisten verärgert hat ist die Haltung vieler Deutscher zu einem Betrug. Der arme, arme Gutti...
Der Respekt, womit in Deutschland jeder ›Fachmann‹ bewundernd zu seinem eignen Kram aufsieht, ist mehr als lächerlich. Es hat den Anschein, als habe es noch niemals Ingenieure, Buchbinder, Fleischermeister und Ärzte gegeben...
...oder Juristen und Verteidigungsminister...

als gäbs auch anderswo keine, und wenn man die meist mittelmäßige Ausbildung des Durchschnitts kennt, der seine Sache eben so recht und schlecht macht, wie es zu allen Zeiten alle Menschen gemacht haben, mutet diese Feierlichkeit doppelt komisch an.
Und wenn er beim Betrügen erwischt wird, dann jammert man sich die Seele aus dem Leib und die scharwenzelnde  Presse heult dem geliebten Kindchen hinterher. Siehe Tucholsky:

Gefährlich und weitaus übler wird diese übersteigerte Berufseitelkeit, wenn sie sich auf die Zeitung erstreckt. Hier wird von sämtlichen Berufsgruppen wahrhaft gemein gewirtschaftet.
Da biedern sie sich an, lügen munter weiter oder beschönigen was alles andere als schön ist oder vergleichen Äpfel mit Birnen. Da wird das Schummeln in der Mathe Klausur mit dem Raub geistigen Eigentums und das erschleichen eines Doktortitels gleichgesetzt. Wie bitte?

Jeder Schlosser hat heute ein ›Berufsproblem‹, und jeder Privatdozent hält sich für den Nabel der Welt; mit der Stirn am Boden, über dem demütig gebeugten Kopf ein Opfertier (wahrscheinlich einen Hammel) haltend, so hat sich der Gläubige dem Tempel zu nahen. Es ist aber gar kein Tempel da. ...
Herr Guttenberg hat  ein Familienproblem und wenig Zeit, dafür hat die größte Boulevardzeitung Deutschlands viel Zeit und geneigte Leser die ihm diesen Mist abnehmen.

Vorhanden ist nur – von den Laternenanzündern bis herunter zu den Richtern – ein Berufsgrößenwahn, dem zu huldigen die Zeitung mit allen Mitteln gezwungen wird.
Leider wurde dort niemand gezwungen, man liebt ihn auch so, siehe Facebook... aber Schafe dürfen eigentlich keine Politik machen, die gehören geschoren.

Der ›wissenschaftliche Charakter‹ des Standes wird betont. Man sollte nicht glauben, dass der lächerliche Doktortitel auch in die praktischen Berufe hinüberspukt, die ums Verrecken nicht als solche gelten wollen.
Und wenn man nicht den Doktortitel huldigt, dann huldigt man Adelsprädikaten. Leider wurden diese aber schon mit der Weimarer Verfassung abgeschafft. Am 11. August 1919 um genau zu sein, also da lebte Tucholsky noch... und Guttenberg noch nicht. Bei vielen Deutschen Guttenberg Fans ist das scheinbar noch nicht angekommen... und immer noch ist in der Presse zu lesen, er könne ja zurück kommen. Ich hoffe redlich, er tut es nicht. Den Adel verpflichtet zu nichts mehr und Herr Guttenberg ist ein gutes Beispiel dafür.

Die Unart, sein Werk aufzublasen, bis es vor Wichtigkeit dem Platzen nahe ist, nimmt derart überhand, dass der Standesdünkel heute auf alle Berufe übergegriffen hat – der Titelwahnsinn ist nur ein äußeres Zeichen dafür. (Daß sich auch die Frauen mit den Berufsbezeichnungen ihrer Männer anreden lassen, wird man einem Fremden nur schwer begreiflich machen.)
Manche Frau mag das auch heute noch tun, die Regel ist es nicht mehr. Aber wie wir an Frau Koch-Mehrin gesehen haben, Frau scheut auch nicht länger davor zurück sich selbst mit einem Titel zu behängen, den sie sich nicht selbst verdient hat.

Und jetzt der Schluss des Tucholsky Textes, den ich auch als ganzes zur Lektüre empfehlen möchte.

Der Standesdünkel liegt in derselben Schublade wie der Patriotismus. Vom Feuerwehrverein bis zum Vaterland sind nur wenige Schritte. Und daher sieht bei uns der Skatverein wie ein Staat und der Staat wie ein Skatverein aus.
So war es damals und so ist es heute, traurig, traurig...

Also, liebe Guttenberg-Verehrer, denkt noch einmal darüber nach wem ihr hinterherlauft. Es kann nicht schaden.

Lieben Gruß,



 
PS: Tucholsky hatte auch seine ganz eigene Plagiatsaffäre nachzulesen hier auf dem wundervollen Sudelblog.

Der Text „Standesdünkel und Zeitung“ findet sich auf den Seiten 375 - 379 des 4. Bandes, Kurt Tucholsky Gesammelte Werke, 1925-1926 erschienen bei Rowohlt

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